Der Kunststoff als Konstruktionselement
Von Dipl.-Ing. Helmut Zickel
In „Der Volkswirt, Deutsche Wirtschaft im Querschnitt, 34.Folge, Die Kunststoffindustrie“, 1. Oktober 1955
Die Verwendung von Kunststoffen für Konstruktionen des allgemeinen Maschinenbaus bringt für den Konstrukteur mancherlei Schwierigkeiten mit sich, da sich diese Materialien nicht in der beim Metall gewohnten Weise auf Festigkeit berechnen lassen. Allein die Tatsache, dass er gewohnt ist, beim Stahl mit einem Werkstoff z8u rechnen, bei dem die plastische Verformung erst bei 70 Prozent der Bruchfestigkeit einsetzt, während bei Kunststoffen in vielen Fällen mit einer Dehnung gerechnet werden muss, die praktisch Null ist, zwingt zu einem Umdenken bei der Verwendung der Kunststoffe.
Problem Festigkeit
Die Festigkeitseigenschaften eines Fertigteils aus Kunststoff werden nicht nur vom Stoff selbst, sondern auch von dessen Verarbeitung und von der konstruktiven Formgebung bedingt. Es ist möglich, dass die Festigkeitswerte im Formteil zum Beispiel bis zu 50 Prozent unter den angegebenen DIN-Werten liegen. Dies wird erklärlich, wenn man bedenkt, dass die Struktur der press- und spritzbaren Kunststoffe und damit wesentliche Eigenschaften, besonders auch die Festigkeitseigenschaften, vom Verlauf der Herstellung (Fließen der Masse im Werkzeug und anderes) und der Gestaltung der Formteile abhängig sind. Aus diesem Grund ist das Beachten gewisser Richtlinien und Grundregeln für die Gestaltung der Formteile besonders bedeutsam.
Neue Konstruktionsprinzipien
Wie bei Metallguss sind ungleiche Wanddicken und Werkstoffanhäufungen zu vermeiden, da sie Spannungen im Formteil ergeben und überdies ungleichmäßige Aushärtung verursachen. Dicke Wände sind deshalb durch Aussparungen und Verrippungen aufzulösen. Alle Außen- und Innenkanten sind zu verrunden, da hierdurch der Fließvorgang der Press- und Spritzgussmassen erleichtert wird, woraus sich Teile mit höherer Festigkeit ergeben. (Die DIN-Werte können nur Materialkennwerte vermitteln.) Der Konstrukteur muss sich darüber hinaus mit den Eigenschaften des Materials vertraut machen; er muss ein „Gefühl“ für den in Betracht kommenden Kunststoff haben, um richtig konstruieren und werkstoffgerecht gestalten zu können. Die Kunststoffindustrie ist deswegen bemüht, verlässliche Unterlagen zu schaffen, vor allem auf dem Festigkeitsgebiet, für die DIN-Werte nicht vorliegen. Man kann zum Beispiel ein Zahnrad nicht mit den genormten Werten für Druck-, Zug- und Biegefestigkeit errechnen, wenn nicht auch Werte für Wechselbiegefestigkeit und Verschleißfestigkeit vorliegen. Ähnlich verhält es sich bei der Dimensionierung von Lagern und anderen Maschinenteilen. Wichtig für das Konstruieren ist weiterhin, zu wissen, dass Kunststoffteile nicht mit den bei Metall üblichen Toleranzen hergestellt werden können. Maßabweichungen entstehen schon beim Formenbau. Sie sind für die weiteren Fertigungsgänge in größerem Umfang in Anbetracht der verschiedenen und nicht immer kontrollierbaren Schwindungsvorgänge verständlich.
Kunststoffe unterlegen?
Auf
den ersten Blick erscheinen die Kunststoffe den Metallen in der
Mehrzahl der Werte unterlegen zu sein. Bezieht man diese Werte auf das
spezifische Gewicht, wie dies bei der Mehrzahl der Konstruktionsfälle
geschehen muss, so kommt man zu Ergebnissen, bei denen sich Kunststoffe
durchaus mit den besten Metallen vergleichen lassen, ja diese zum Teil
übertreffen. Während man bei Flussstahl zum Beispiel eine Zugfestigkeit
–bezogen auf das spezifische Gewicht- von 500 erhält, beträgt der
gleiche Wert bei Hartpapier 855 und bei Pressschichtholz „Lignofol L“
sogar 1780. Bei der Druckfestigkeit – bezogen auf das spezifische
Gewicht- kommt man zum Beispiel bei Gusseisen auf einen Ewert von 900,
bei Hartgewebe auf 1430, bei Vulkanfiber auf 2300.
Nicht immer wird
es gelingen, ein Konstruktionsteil aus einem Stück herzustellen, sondern
es wird häufig vorkommen, dass man mehrere Kunststoffteile
zusammenfügen muss. Die Verbindungsmöglichkeiten der Kunststoffe sind
vielfältig und können bei den Phenoplasten durch Kleben, Schrauben und
Nieten erfolgen. Bei den Klebern unterscheidet man heiß- und
kalthärtende Kleber, wobei die heiß härtenden eine bessere Haltbarkeit
der Klebeverbindung erzielen lassen. Eine weitere Erhöhung der
Scherfestigkeit der Klebfläche ist durch das Anbringen von Dübeln aus
Kunststoff oder Holz möglich. Die zu klebenden Flächen müssen aufgeraut
sein, da die Wirkung des Klebers auf mechanischer Wirkung beruht. Es
befindet sich eine ganze Anzahl ausgezeichneter Kleber auf dem Markt,
die Scherfestigkeiten von 400, sogar 500 Kilogramm je Quadratzentimeter
erzielen lassen, diese Klebungen entsprechen etwa der Nietfestigkeit.
Alle Kleber haben gemeinsam, dass ihre Zugfestigkeit in Richtung der
Verbindungsebene weit besser ist als die Querzugfestigkeit und die
Festigkeit bei Schälbeanspruchung. Die Verbindungsstelle muss man daher
so ausbilden, dass sie eine genügende Verbindungsfläche besitzen und die
Beanspruchung in Richtung der Verbindungsebene und nicht senkrecht dazu
auftritt.
Schrauben und Nieten
Beim
Schrauben verwendet man bei durchgehenden Schrauben normale
Stahlschrauben mit Muttern. Ist es jedoch nicht möglich, diese
durchgehenden Schrauben zu verwenden, so erweist es sich als
vorteilhaft, die bekannten Einschraubenbuchsen „Insert“ zu verwenden, da
diese Schraubverbindung auch ein häufiges Lösen gestattet, was bei dem
in das Kunststoffmaterial hineingeschnittenen Gewinde nicht möglich ist.
Bei Press- und Spritzteilen können Gewindebuchsen aus Metall sogar mit
eingepresst oder –eingespritzt werden.
Beim Nieten ist wegen der
starken Kerbempfindlichkeit der Kunststoffe mit besonderer Vorsicht zu
verfahren. Aluminiumniete, Kupferniete sowie Hohlniete sind
gebräuchlich. Die Niete können aber auch aus Kunststoff hergestellt
werden; man verwendet hierfür thermoplastische Kunststoffe, die in der
Wärme biegsam sind. Eine besonders gute Nietkonstruktion hat die
amerikanische Firma Shakeproof, Chikago, herausgebracht, die eine
Vernietung ohne Erwärmung des Niets gestattet. Ihre Niete bestehen aus
Polyamid und übertragen eine Scherlast von 130, zweischnittig von 141
Kilogramm.
Thermoplaste lassen sich schweißen
Thermoplaste können zusätzlich zu den eben geschilderten Verbindungsverfahren auch durch Schweißen verbunden werden. Man kennt hierfür die Heißgasschweißung, Heizelementschweißung, Reibungsschweißung und Hochfrequenzschweißung. Bei normaler Konstruktion für Maschinenteile werden wohl die ersten drei Schweißungen in Betracht kommen, da die Hochfrequenzschweißung vor allem sehr dünnwandige Teile, wie Folien und so weiter vorbehalten ist. Die Heißgasschweißung wird unter Verwendung eines Schweißdrahts ähnlich wie bei der Metallschweißung vorgenommen, nur dass man die Schweißtemperatur mit einem Heißluftbrenner erzeugt. Die Nahtformen sind den von der Metallschweißung her bekannten ähnlich, nämlich V-, X- und Kehlnähte. Diese Schweißung hat in der Praxis größte Bedeutung.
Viele Verformungsmöglichkeiten
Hinsichtlich der Verarbeitungsmöglichkeiten steht dem Konstrukteur bei den Kunststoffen eine größere Anzahl von Möglichkeiten offen als bei den Metallen. Je nach dem besonderen Zweck und der jeweiligen Formgebung wird man zur spanabhebenden Bearbeitung greifen, zum Gießen, Pressen, Pressspritzen, Spritzgießen, Tauchen, Strangpressen, Prägen, Warmverformen, Tiefziehen, oder Blasen.
Schweißen und
Flammspritzen. Diese große Zahl der Verformungsmöglichkeiten gestattet
es auch, kleine Stückzahlen- wie sie im allgemeinen Maschinenbau nicht
selten vorkommen- herzustellen. Die Kunststoffe können darüber hinaus
durch ihre vielseitige Anpassungsfähigkeit und durch die Möglichkeit,
besonders verlangte Eigenschaften zu züchten, in Spezialfällen auf den
jeweiligen Verwendungszweck zugeschnitten werden.
Solange die
Kenntnis der Kunststoffe und ihrer Verarbeitungsmöglichkeiten noch nicht
Wissensgut aller Konstrukteure ist, empfiehlt es sich allerdings, vor
Beginn der Konstruktionsarbeiten mit führenden Firmen der
Kunststoffindustrie in Verbindung zu treten, um Fehlschläge zu
vermeiden.
(Dr. Volker Hofmann, Februar 2007)