Aus der Herstellung der Vulkanfiber

Dr. E. Becker, Troisdorf, Bez. Köln, veröffentlichte in „Kunststoffe“, Bd. 28, 1938, S. 83 – 85.

Dieser Bericht ist ein Auszug aus einem Vortrag des Autors auf der Kunststoff-Tagung anlässlich des Reichstreffens der Deutschen Chemiker auf der Achema VIII am 6. Juli 1937 zu Frankfurt a. M..

Der Autor weist auf den Bericht von Dr. Nising zur Vulkanfiber in der gleichen Zeitschrift „Kunststoffe“ aus 1937 hin:

Die folgenden Ausführungen bringen in Ergänzung einer kürzlich hier veröffentlichten Arbeit über den gleichen Gegenstand (Dr. Nising in „Kunststoffe“, 1937) Mitteilungen über die Rohstoffe und den Herstellungsgang der Vulkanfiber, über die Frage der Pigmentierungsmittel und über die neuere Entwicklung in der Herstellung von wasserfester und wasserunempfindlicher Vulkanfiber.

Der Rohstoff Zellulose

Als Rohstoff für die Herstellung von Vulkanfiber dient Zellulose in Form von Papier. Zunächst wurden ausschließlich Papiere aus Baumwolle benutzt. Für die Herstellung solcher Papiere geht man schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht von der spinnbaren Baumwolle, sondern von Baumwollumpen aus, und zwar sind es gerade die alten mürben Lumpen von lange benutzten Kleidungsstücken, die eine besonders gute Reaktionsfähigkeit gegenüber chemischen Agenzien aufweisen. Die Mürbigkeit und Reaktionsfähigkeit entsteht dadurch, dass die als Gewebe vorliegende Baumwolle, zum Beispiel eine Kattunschürze, eine Maurerhose, ein Wäschestück, immer wieder gewaschen und gebleicht wird, bis die Faser so mürbe wird, dass sich eine weitere Wäsche nicht mehr lohnt und das Kleidungsstück in die Lumpen wandert. Damit hat dann auch die Baumwolle den erwünschten Grad der Reaktionsfähigkeit erreicht. Die im Handel befindlichen Lumpen sind je nach ihrer Herkunft in ihrer Qualität verschieden und müssen entsprechend sortiert werden.

Die Lumpen oder Hadern werden zunächst in Druckkesseln mit verdünnter Natronlauge oder Aetzkalk gekocht, wobei die Schmutzstoffe, Fette u. dgl. Herausgelöst werden und ein gewisser weiterer Aufschluß erreicht wird. Gleichzeitig wird dadurch die dringend notwendige Desinfektion des wenig sauberen Rohmaterials bewirkt. Auch wird in die Lumpen hereingeratene oder aus Mischgewebe stammende Wolle zerstört. Es erfolgt dann eine Mahlung der Lumpen im Holländer, dem sogenannten Halbzeugholländer. Durch die Mahlung werden die Lumpen zerfasert, es entsteht ein Faserbrei, der gegebenenfalls gebleicht wird und in den Ganzzeug-Holländer geht, in dem die Faser fertig gemahlen, d.h. auf die gewünschte Faserlänge und den gewünschten Mahlgrad gebracht werden. Der Faserbrei läuft dann auf das Sieb der Papiermaschine, wo sich ein Papierblatt bildet, das auf einer Trockenpartie getrocknet wird. Für die Zwecke der Vulkanfiberherstellung lässt man das Papier ungeleimt, setzt aber gegebenenfalls schon im Holländer Farbstoffe zu.

Die Frage der Zellstoffverwendung

Für die Herstellung der Vulkanfiber lässt sich die B a u m w o l l e zu einem mehr oder weniger großen Prozentsatz durch geeignete 

Z e l l s t o f f e ersetzen. Heute ist es auch möglich, in den allermeisten Fällen ausschließlich mit Edelzellstoff zu arbeiten,, doch sind solche Zellstoffe erheblich teurer als die für Vulkanfiberzwecke verwendeten Lumpen, die ein ausgesprochenes Abfallprodukt darstellen, so dass aus wirtschaftlichen Gründen der völlige Ersatz der Baumwollumpen praktisch nicht durchführbar ist. Es muß aber festgestellt werde, dass dieser Ersatz an sich möglich wäre.

Für die Herstellung der Vulkanfiber muß das Papier sehr saugfähig sein, um die Chlorzinklösung aufnehmen zu können; es hat etwa den Charakter von Filtrierpapier und wird in Rollenform verwendet.

Das Wickelverfahren

Eine solche Papierrolle wird durch eine starke, warme Chlorzinklösung gezogen. Es tritt dadurch die Quellung der Fasern ein. Der hydrolytische bzw. auflösende Angriff auf die Zellulose geht nur bis zur Bildung geringer Mengen „Kittsubstanz“. Infolgedessen verschweißen die einzelnen Papierlagen ebenso wie die einzelnen Fasern miteinander zu einer homogenen Masse, wenn man die chlorzinkfeuchte Papierbahn nach Abstreifen des Laugenüberschusses auf eine große Trommel aufwickelt, wobei die Lagen mittels einer erwärmten Anpreßwalze fest aufeinandergepreßt werden. Die Tränkung mit Chlorzinklösung pflegt man Pergamentierung zu nennen, das ganze Verfahren das „Wickelverfahren“.

Im Gegensatz zur Einwirkung von Schwefelsäure geht die hydrolytische Wirkung des Chlorzinks in der Hitze nur allmählich, in der Kälte außerordentlich langsam vor sich. Infolgedessen ist es möglich, nicht etwa nur einige wenige, sondern viele hundert solcher Papierlagen miteinander zu vereinigen. Man kann Platten von 50 mm und mehr Fertigstärke herstellen. In frisch pergamentiertem Zustand ist ein solche Platte übrigens doppelt so dick, also über 10 cm stark. Wenn beim Aufwickeln auf die Wickeltrommel die gewünschte Stärke erreicht ist, wird die Papierbahn abgeschnitten. Der entstandene chlorzinkhaltige Zylinder wird aufgeschnitten und in Platten aufgeteilt.

Das Auswaschen der Chlorzinklösung

Diese Platten müssen nun sorgfältig von Chlorzink befreit werden, was besondere Vorsicht und Sorgfalt erfordert. Das Auswaschen 

d i c k e r Platten nimmt außerordentlich viel Zeit in Anspruch. Bei einer 50 mm-Platte dauert es erheblich mehr als ein Jahr.

Das Auswaschen geschieht in Chlorzinklösungen absteigender Konzentration und schließlich in Wasser. Die dünnsten, sich an Chlorzink anreichernden Waschlaugen rücken in die nächste Stufe vor, die stärksten Laugen werden eingedickt, und so wird ein großer Teil des Chlorzinks wiedergewonnen. Die chlorzinkfreien Platten werden in Trockenkammern oder anderen geeigneten Trockenvorrichtungen getrocknet. In diesem Zustand sind die Platten mehr oder weniger krumm. Sie werden durch hydraulische Pressen geradegerichtet. Wenn eine besonders glatte Oberfläche erwünscht ist, wird im Glättkalander geglättet, was besonders bei Vulkanfiber für Mützenschirme und Koffer nötig ist. Kofferfiber wird vielfach auch auf Prägekalendern mit einer Narbe versehen.

Schwierigkeiten der Fertigung

Die Herstellung der Vulkanfiber erscheint, so beschrieben, verhältnismäßig einfach, hat aber viele Schwierigkeiten. Das Schicksal der gewickelten Platten entscheidet sich schon bei der Pergamentierung. Hier liegen die Ursachen dafür, ob die Platte richtig verschweißt ist oder etwa Wochen und Monate später auseinanderfällt, ob sie die richtige Härte hat usw.

Auch der A u s w a s c h g a n g muß sehr sorgfältig geleitet werden. Er erfordert eine gewissenhafte Überwachung, zumal die restlose Entfernung des Chlorzinks gerade aus dicken Platten nicht nur lange dauert, sondern auch an sich schwierig ist. Bleibt unverändertes Chlorzink in nennenswerten Spuren zurück, so werden die elektrischen Eigenschaften stark herabgesetzt, auch können Metallteile, die später mit Vulkanfiber in Berührung kommen, korrodiert werden, und schließlich werden im Laufe der Zeit die Festigkeitseigenschaften des Werkstoffes herabgesetzt.

Herstellung von Röhren und langen Bahnen

Wenn man auf entsprechend kleineren Maschinen das chlorzinkgetränkte Papier auf Dorne von verschiednen Durchmessern aufwickelt und die entsprechenden Körper nicht aufschneidet, so entstehen R ö h r e n. Diese werden gewässert und schließlich in entsprechenden Vorrichtungen, z. B. Kalibrierwalzwerken, auf genaue Stärke kalibriert.

Anstatt eine einzelne Papierbahn nach der Tränkung mit Chlorzinklösung auf eine Wickeltrommel aufzuwickeln, kann man auch mehrere Papierbahnen auf einmal tränken und durch geheizte Walzen miteinander vereinigen, also fortlaufend arbeiten. Man erhält so die Vulkanfiber in l a n g e n B a h n e n, die je nach der Stärke entweder in Rollen aufgewickelt oder in Platten aufgeschnitten werden. Im ersten Fall wird die Ware auch in langen Bahnen gewässert und auf einer Trockenpartie, wie sie in der Papierindustrie üblich ist, getrocknet. Die Zahl der Lagen und damit die Stärke der Vulkanfiber ist begrenzt, da die Apparatur mit steigender Lagenzahl immer verwickelter wird. Dünne so hergestellte Vulkanfiber ist häufig unter dem Namen Leatheroid auf dem Markt.

Verwendung anderer Pigmentierungsmittel

Es sind anstelle des Chlorzinks zahlreiche andere Pergamentierungsmittel vorgeschlagen worden. Erwähnt seinen Kalziumrhodanid, Kalziumrhodanid mit Formaldehyd, Flußsäure und Salpetersäure, Durchsetzen können hat sich gegenüber Chlorzink keines dieser Mittel.

Eine erhebliche Bedeutung hat dagegen Schwefelsäure an Stelle des Chlorzinks gewonnen. Ohne weiteres lässt sich Schwefelsäure bei dem erwähnten fortlaufenden Verfahren verwenden, da hier der Nachteil der Schwefelsäure, auch in der Kälte weiter zerstörend auf die Zellulose einzuwirken, nicht in Erscheinung tritt.

Die Schwierigkeit, die Schwefelsäure rasch genug aus dickerer Vulkanfiber herauszubekommen, setzt aber der Stärke derartigen Materials eine Grenze. Meist begnügt man sich mit Stärken bis zu 0,5 bis 0,6 mm und geht bei höheren Stärken zum Chlorzinkwickelverfahren über. Mancherorts geht man bis zu 1 bis 1,25 mm unter Verwendung von entsprechend gebauten Maschinen zur Pergamentierung von 10 – 15 Papierbahnen auf einmal.

Eine beschränkte Bedeutung hat die Schwefelsäure auch als Pergamentierungsmittel für das Wickelverfahren gewonnen. Man setzt dabei der Säure zur Verlangsamung und Regulierung der Wirkung organische Stoffe (oder Salze) zu. Trotzdem ist aber die Stärke der herzustellenden Platten begrenzt. Über 2-3 mm kommt man auch bei äußerst vorsichtigem Arbeiten nicht hinaus.

Wasserfeste Vulkanfiber

Normale Vulkanfiber hat neben ihren beträchtlichen Vorzügen den Nachteil einer gewissen W a s s e r e m p f i n d l i c h k e i t. Es ist neuerdings zwar gelungen, praktisch völlig wasserfeste Vulkanfiber durch völliges Durchimprägnieren mit wasserabstoßenden Stoffen zu erzielen, aber mit der Wasserempfindlichkeit verschwindet auch der Feuchtigkeitsgehalt der normalen Vulkanfiber und mit ihm ein großer Teil der elastischen Eigenschaften., so dass die auf der Elastizität der Vulkanfiber beruhenden Bearbeitungsverfahren für einen derartigen Werkstoff ausfallen.

Man hat, um diesen Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, Vulkanfibersorten entwickelt, bei denen bei ganz wesentlich 

e i n g e s c h r ä n k t e r W a s s e r e m p f i n d l i c h k e i t

die elastischen Eigenschaften weitgehend erhalten sind. Bei diesen Stoffen machen nur noch die Verarbeitungsverfahren besondere Schwierigkeiten, bei denen ein Einweichen in Wasser oder Dampf erforderlich ist, was natürlich bei einem wasserfesten Material nicht mehr möglich ist.

Für viele Fälle wäre es deshalb zweifellos das Ideal, wenn die Vulkanfiber in ihrem normalen Zustande verarbeitet und dann erst das f e r t i g e Formstück oberflächlich auf einfache Weise imprägniert werden könnte. Auch das ist in letzter Zeit bis zu einem gewissen Grade gelungen. Es gibt derartige Imprägnierungsmittel, die leicht aufgebracht werden können und sich mit der Vulkanfiber fest vereinigen. Von einem einfachen Lack unterscheiden sie sich wesentlich durch die feste Vereinigung und tiefe Verankerung in der Vulkanfiber. Ein Abblättern u. dgl. ist nicht zu befürchten. Ein besonders geschmeidiger Oberflächenschutz lässt sich mit Mipolam (PVC-Mischpolymerisat, Anm. d. Bearbeiters) erzielen.

Zum Schluß sei noch erwähnt, dass Vulkanfiber in rein weißer Farbe, wie sie neuerdings in den Handel gebracht wird, große Bedeutung zur Herstellung von mangel- und bügelfesten Knöpfen und von weißen Knöpfen als Ersatz von Perlmutter-Wäscheknöpfen erhalten hat.“

Bearbeitet: Dr. Volker Hofmann, 13. August 2008