Troisdorfer Kunststoff-Museum
Reine Kunststoffmuseen gibt es ganz wenige auf der Welt – zumindest solche mit einer permanenten Ausstellung. So ist z.B. das Deutsche Kunststoff-Museum mit Sitz in Düsseldorf lediglich mit gelegentlichen Wanderausstellungen in der Öffentlichkeit -ansonsten virtuell über das Internet- präsent, und das Deutsche Museum in München hat neben anderen Schwerpunkten eine überschaubare Kunststoffsammlung. In Troisdorf befindet sich aber auf dem Gelände des Troisdorfer Industrieparks an der Mülheimer Straße eine außerordentlich umfangreiche Sammlung von Kunststoff-Produktbeispielen aus der Fertigung der ehemaligen Rheinisch-Westfälischen Sprengstoffwerke -RWS-, später dann Dynamit Aktiengesellschaft -DAG-, dann Dynamit Nobel AG , dann Hüls Troisdorf AG bzw. HT TROPLAST AG und heute noch am Standort tätig die profine GmbH, die Trocellen GmbH, die Trosifol GmbH, die DYNOS GmbH, die Gerflor-Mipolam GmbH und die Röchling Engineering Plastics KG; all die Firmen sind aus den Kunststoffaktivitäten hervorgegangen, die 1905 in Troisdorf mit der Erstfertigung von Celluloid in Troisdorf ihren Anfang nahmen.
Und Gott sei Dank gab es Herrn Laubenberger, der als Führungskraft bei der Dynamit Nobel AG über Jahre arbeitete und all die Produktbeispiele gesammelt und zusammengehalten hatte, die heute die tragende Basis für die Kunststoff-Ausstellung sind. 1999 konnte Herr Pohl die Exponate in einem ordentlichen Rahmen einer Ausstellung erstmalig den Mitarbeitern und später auch interessierten Besuchern in Form des Werksmuseums vorführen. 2004 wurde dann der Kunststoff-Museums-Verein hauptsächlich durch ehemalige Mitarbeiter der Dynamit Nobel AG bzw. HT TROPLAST AG gegründet, der sich der Sicherung und Weiterentwicklung dieses einzigartigen Kunststoffmuseums verschrieben hat. Dort sind all die Produktbeispiele zu bestaunen, die über mehr als ein Jahrhundert in Troisdorf gefertigt wurden -und viele Teile erkennt man wieder als Alltags-Gebrauchsgegenstände aus der eigenen individuellen Vergangenheit. Heute nun stehen wir an der Schwelle zur Einrichtung eines öffentlichen Museums für Stadt- und Industriegeschichte in der Burg Wissem, in dem diese Kunststoffsammlung einen wichtigen Platz einnehmen wird.
Aus der Fertigung von nitrierter Baumwolle zur
Verwendung als Schießbaumwolle kannte und beherrschte man in Troisdorf
die industrielle Chemie von Nitrocellulose. Eine abgespeckte Version
dieses Produkts eignete sich auch als Rohstoff für Celluloid, das man in
Troisdorf ab 1905 für verschiedene Anwendungen großtechnisch fertigte.
So wurden daraus Puppen hergestellt oder Brillengestelle, Kämme und
brilliante Seifenschalen und Dosen wie auch Beschichtungen für
Musikinstrumente und Rechenschieber aus Holz. Cellon bzw. Cellonex waren
dann erste weitere neue Kunststoffe aus Troisdorf, wo die
Kunststoffverarbeitung, neben der klassischen Zünderfertigung in der
Zünderfabrik -Züfa- immer breiteren Raum einnahm. Ein weiterer
Cellulose-basierter Kunststoff -die Vulkanfiber mit Namen DYNOS, also
eine Hydratcellulose- kam in den 20iger Jahren des vergangenen
Jahrhunderts zur Troisdorfer Kunststoff-Familie hinzu. Daraus wurden bei
den Kunden z.B. Koffer und Polizeihelme (Tschakos) oder
Schweißerschutzhelme hergestellt und im eigenen Haus Troisdorfer
Spinnkannen für die Webereien und Papierkörbe für Büros. Solche Koffer
kennt ein jeder, erkenntlich an den runden Eckverstärkungen und der
leder-genarbten oder glatten Oberfläche und ihrem leichten Gewicht! Eine
andere Verwendung fand DYNOS ab den 30iger Jahren als Träger für
Schleifscheiben – diese Verwendung wird heute noch mit dem Troisdorfer
Produkt DYNOS weltweit bedient. In den 20iger Jahren wurde auch eine
Harzproduktion in Troisdorf aufgebaut. Es wurden dunkle Phenolharze
-TROLON- und einfärbbare Harnstoff- und Melaminharze –POLLOPAS und
ULTRAPAS- als Pressmassen und später in den 30iger Jahren eine ganze
Palette von Haushaltsgegenständen als Pressteile aus ihnen, wie Teller
und Tassen unter dem Markennamen TROPAS (Troisdorfer Pollopas),
hergestellt. Etliche Produktbeispiele wie z.B. schwarze Telefone,
Föngehäuse und Waschmaschinen- und Elektroteile wie Zündverteiler für
Automobile und auch Möbelfolien mit Holzimitationsoberflächen und
Farbdekors aus diesen Phenolharzen sind im Museum zu sehen.
Mit
MIPOLAM als Warenzeichen, abgeleitet von Misch-Polymerisat, begann 1936
die Entwicklung einer neuen Produktfamilie auf Basis von
Polyvinylchlorid. In jener Zeit war die damalige Dynamit AG, Troisdorf,
das entwicklungstechnische Zentrum der IG Farben (dem Verbund aller
deutschen Chemiewerke), und alle Kunststoffe wurden hier in Troisdorf
auf ihre Verarbeitung hin rezepturmäßig und verfahrentechnisch
optimiert, so auch das anfänglich schwer zu verarbeitende PVC aus
Bitterfeld. Rohre aller Art, Platten für den Apparatebau -TROVIDUR- und
Bodenbelagsplatten -MIPOLAM-waren die bekanntesten Erzeugnisse aus jener
Zeit. MIPOLAM- Bodenbeläge werden übrigens heute noch in Troisdorf von
der Gerflor-Mipolam GmbH hergestellt.
Nach dem zweiten Weltkrieg
entwickelte sich die Troisdorfer Kunststoffproduktion weiter und die
Troisdorfer Sicherheitsfolie TROSIFOL für Verbundsicherheitsglas kam
hinzu sowie Regenrinnen und Fallrohre und Folien für den Dach- und
Tunnelbau und die Deponieabdichtung namens TROCAL. Die 1923 gegründete
Knopffabrik versorgte viele Troisdorfer Heimarbeiterinnen wieder mit
ihren unsortierten Knöpfen und Schnallen aus Troisdorfer Kunststoffen,
die die fleißigen Arbeiterinnen zu Hause in Röhrchen und Gestelle
sortierten und verkaufsfertig machten. Aus verschiedenen Kunststoffen
wurde Endlosfäden für hochfeste Angelschnüre und farbloses Nähgarn für
die Textilindustrie unter dem Namen TROFIL hergestellt.
Neben den
harzgebundenen dekorativen Schichtstoffen für den Möbelbau wurden
kupferfolienbeschichtete Phenolharz-Hartpapiere und Epoxid-Glasgewebe
unter dem Namen TROLITAX für die Elektro- und Elektronikindustrie zur
Herstellung gedruckter Schaltungen produziert. Ein Granulat mit
besonderer Rezeptur auf Basis von MIPOLAM wurde für die
Schallplattenindustrie erzeugt, die daraus ihre unzerbrechlichen
Vinylschallplatten, zuerst schwarz, später popbunt herstellte:
TROMIPHON. Viele farbliche PVC-Mischungen wurden in Troisdorf für die
Kabelummantelung und -Isolierung hergestellt: TROSIPLAST. Auf der
Rohstoffseite wurden TROGAMID, PBT und DYFLOR für den Spritzguss bei den
industriellen Kunden in Troisdorf entwickelt und hergestellt.
Offenzelliger PVC-Schaum wurde für die Möbelindustrie und für den
Fahrzeugbau gefertigt: TROVIPOR. Der geschlossen-zellige
Polyethylenschaum TROCELLEN wurde ab 1972 in Troisdorf produziert, der
z.B. Verwendung in Sportschuhen, als Freizeitmatten und als
leichtgewichtige Automobilinnenteile findet und heute noch in Troisdorf
produziert wird.
1954 wurde aus MIPOLAM das erste
Kunststoff-Fensterprofil der Welt industriell produziert, aus dem die
Fensterbauer Isolierglasfenster -die Mipolam-Elastic-Fenster-
handwerklich fertigen konnten.
Das „Kunststoff-Fenster“ war erfunden worden, hier in Troisdorf im Jahre 1954!
1959
war man in Troisdorf sehr stolz darauf, ein Kunststoffhaus ganz mit
Kunststoffteilen aus Troisdorfer Fertigung für die Kundenwerbung und die
Kunststoff-Messe in Düsseldorf zu erstellen, das schnell aufgebaut
werden konnte und gut bewohnbar war. Troisdorf war wieder -wie vor dem
Krieg- die Metropole der Kunststoffverarbeitung mit einem breiten
Produktsortiment aus Kunststoffen.
Aus den Profilen für das
Mipolam-Elastic-Fenster wurde über Mipodur-Hart-PVC-Profile 1967 das
Mehrkammer-Kunststoff-Fensterprofil TROCAL, das heute noch in Troisdorf
von der profine GmbH gefertigt wird und dessen konstruktives
Mehrkammer-Prinzip zur Basis des Energiesparfensters in der ganzen Welt
reussiert ist.
Handgeschriebene Bilanzbücher und
Gehaltslisten-Kompendien aus den Jahren des Ersten Weltkriegs und danach
gestatten dem Betrachter einen Einblick in die handschriftliche
Akkuratesse und Eleganz unserer Vor-Vorgänger in den Büros der Dynamit
AG jener Zeit.
Das Troisdorfer Kunststoffmuseum kann Zeugnis ablegen
über die Werkstoffentwicklung von Kunststoffen in einem ganzen
Jahrhundert von 1905 an und zeigt Produktbeispiele, die alle in
Troisdorf hergestellt wurden oder ihren Ausgang nahmen. Darauf kann
Troisdorf stolz sein! Sein Stadtname ging und geht mit den Produktnamen
dieser Kunststoffe aus Troisdorf wie TROCAL, TROCELLEN, TROVIDUR und
TROSIFOL mit in alle Welt, wo die Kunden die Produkte aus Troisdorf zum
langfristigen Nutzen der Endkunden weiterverarbeiten.
So hat die
erfolgreiche industrielle Entwicklung dieses Unternehmens mit seinen
Tausenden von Mitarbeitern und deren Familien, seinen Steuern und seinen
handwerklichen Zulieferern aus Troisdorf und dem Rhein-Sieg-Kreis über
mehr als ein Jahrhundert zur Stadtentwicklung von Troisdorf maßgeblich
beigetragen -und der wichtige Kunststoffteil dieses Unternehmens wird
mit seinen Produkten für die Interessierten und die nachwachsenden
Generationen, wohl bewahrt, im Kunststoffmuseum realitätsgetreu
abgebildet!
Dr. Volker Hofmann, Troisdorf, 14. Mai 2009