Mipolam-Rohre (von März 1937)
Kunststoffe, März-Heft 1937
Zeitschrift
für Erzeugung und Verwendung veredelter oder chemisch hergestellter
Stoffe , mit Berücksichtigung von Azetyzellulosen, Filmen, Folien,
Gummiersatz, Holzkonservierung, Klebstoffen, Korkersatz, künstlichem
Kautschuk, Kunstharzen, Kunstleder, Kunstseide, Lacken,
Isoliermaterialien, Vulkanfiber, Zellstoffmassen, Zelluloid usw.,
J.F. Lehmanns Verlag, München
In
der Zeitschrift „Kunststoffe, Heft März 1937“ berichtete Dr. Hans Lutz,
Dynamit-Akt.-Ges., Troisdorf, auf den Seiten 81 bis 83 über
„Mipolam“-Rohre, ein neuer Baustoff für Rohrleitungen
Unter
der Bezeichnung „Mipolam“ (Wortschutz eingetragen) sind eine Reihe von
Kunststoffen auf dem Markt (Vertrieb:
Venditor-Kunststoff-Verkaufsgesellschaft Troisdorf, Bez. Köln), die alle
auf der Basis von Polymerisationsprodukten entstanden sind. Bei den
Polymerisationsprodukten handelt es sich um synthetische Kunststoffe,
die auf der Basis von Azetylen (1) aufgebaut sind. Obwohl die
Polymerisation großtechnisch noch nicht sehr lange gehandhabt werden
kann, haben die auf diese Weise erhaltenen Kunststoffe sich bereits ein
umfangreiches Anwendungsgebiet in der Kunststoffindustrie gesichert (2).
Bei
den Polymerisationsprodukten handelt es sich ebenfalls um
thermoplastische Kunststoffe; sie sind also in der Wärme und unter
gleichzeitiger Anwendung von Druck formbar. Zu ihrer Bearbeitung eignen
sich im Allgemeinen auch die für andere thermoplastischen Materialien
gebräuchlichen Maschinen und Einrichtungen wie Kneter, Walzen und
Pressen.
Eine Anwendung dieser Stoffe, die besonders interessant ist, soll noch nachstehend näher behandelt werden.
Ausgehend
von der Tatsache, dass Vinylchlorid, ein Polymerisationsprodukt aus
Azetylen und Halogenwasserstoff, eine bemerkenswerte Beständigkeit
gegenüber chemischen Angriffen zeigt, wurde die Verarbeitung diese
Kunststoffes zu Rohren im Austausch gegen devisenbelastete Metalle
vorwiegend gefördert. Die nachstehende Tabelle gibt einen Aufschluss
über die chemische Beständigkeit von „Mipolam“-Rohren.
Verhalten gegen: | |
Alkalien | beständig |
Alkohol | beständig |
Äther | unbeständig |
Benzin | beständig |
Benzol | unbeständig |
Treibstoffgemisch | unbeständig |
Chlorkohlenwasserstoffe (außer Tetrachlor- Kohlenwasserstoff | unbeständig |
Ester | unbeständig |
Ketone | unbeständig |
Mineralöle | beständig |
Pflanzenöle | beständig |
Säuren | beständig |
Terpentinöl | beständig |
Wasser | beständig |
Die mechanischen Werte der Rohre aus diesem Kunststoff liegen so günstig, dass dieser auch in dieser Hinsicht den Anforderungen im Rohrleitungsbau weitgehend entsprochen wird. Die nachstehende Tabelle zeigt die nach Untersuchungen des Wissenschaftlichen Labors der Dynamit-Aktien-Gesellschaft Troisdorf festgestellten Durchschnittswerte.
Eigenschaftswerte | |
Spezifisches Gewicht | 1,38 |
Schlagbiegefestigkeit | 100 cmkg/kubcm |
Zerreißfestigkeit | 600 kg/kubcm |
Dehnung | 17 – 20 % |
Elastizitätsmodul | 30 – 40.000 kg/kubcm |
Wärmebeständigkeit n. Vicat | 89 °C |
Ausdehnungskoeffizient | 65 . 10 hoch minus 6 |
Wärmeleitfähigkeit | 0,12 Kcal/m h °C |
(kubcm = Kubik-Centimeter)
„Mipolam“-Rohre sind vollständig unbrennbar, während sie als organischer Werkstoff unter der direkten und längere Zeit andauernden Einwirkung einer offenen Flamme verkohlen. Diese Tatsache der Unbrennbarkeit zusammen mit der Wärmebildsamkeit (Wärmebiegbarkeit) ergibt für die „Mipolam“-Rohre ganz neue Verarbeitungsmöglichkeiten, wodurch sie sich von anderen Rohren aus Kunststoffen vorteilhaft unterscheiden. „Mipolam“-Rohre lassen sich nämlich unter Einwirkung einer schwach brennenden Gasflamme oder durch die Flamme eines Schweißbrenners weich und dadurch bildsam machen.
In Abb. 1 wird ein Rohrstück an einem Ende mittels eines Schneidebrenners erwärmt. Hierzu wird das Rohr in der hand gedreht, während gleichzeitig auch die Flamme dauernd hin und her bewegt werden muss. Nach kurzer Zeit wird das Rohr an dem betreffenden Rohrende so plastisch, dass ein anderes nicht plastisch gemachtes Rohrende eingeschoben werden kann. Das plastische Ende weitet sich dabei zu einer Muffe auf. Durch dieses einfache Arbeitsverfahren entsteht die Muffen-Verbindung (Abb.2). Diese Rohrverbindung ist an sich nicht flüssigkeitsdicht. Nachdem das aufgeweitete Rohr erkaltet ist, werden die beiden Rohrenden wieder getrennt und mittels Glaspapier angerauht und durch Bestreichen mit Methylenchlorid gesäubert. Das einzuschiebende
Rohrende wird dann in der Länge, wie s in die Muffe geschoben wird, mit einer besonderen Klebelösung bestrichen, worauf die Enden wieder vereinigt werden. Erwärmt man nun die betreffenden Stellen wiederum leicht , so verdunsten die in der Klebelösung enthaltenen Lösemittel, und es entsteht sofort eine feste und unlösbare Verbindung. Durch das Erwärmen wird gleichzeitig erreicht, dass das aufgeweitete Rohrende sich fest an das eingezogene Rohr anschließt. Jeder wärmebildsame Stoff hat nämlich das Bestreben, bei einer auf eíne nachträgliche Verformung folgenden weiteren Erwärmung wieder in die ursprüngliche Form zurückzukehren, die ihm im ersten Arbeitsgang erteilt wurde.
Neben der Verarbeitung in der Wärme können „Mipolam“-Rohre aber auch mit den bei der Metallverarbeitung üblichen Werkzeugen bearbeitet werden. Sie können zum Beispiel mit einer Metallbügelsäge auf Länge zugeschnitten werden; sie können mit dem Spiralbohrer gebohrt, mit der Feile befeilt und auf der Drehbank überdreht werden. Es lassen sich in einem Gang entweder auf der Drehbank oder auch mit der gewöhnlichen Kluppe Gewinde aufschneiden. Deshalb können die Rohre in solchen Fällen, wo man die Verbindung mit aufgeweiteten Muffen umgehen möchte, auch durch Gewindemuffen verbunden werden (Abb.3)
Das Biegen der Rohre, um zum Beispiel Krümmer herauszustellen, wie es im Rohrleitungsbau üblich ist, lässt sich genauso gut bei den „Mipolam“-Rohren ausführen. Auch hierbei wird das zu biegende Rohr an einem Ende verspundet und dann unter Klopfen mit Sand gefüllt. Ist das Rohr gut dicht mit möglichst feinkörnigen und trockenen Sand gefüllt, so wird auch das andere Ende verspundet, worauf der Rohrabschnitt, welcher gebogen werden soll, in der bereits oben beschriebenen angewärmt wird. Es lassen sich auf diese Weise nicht nur gewöhnliche Krümmer, sondern auch Dehnungsbogen, Siphons, Rohrschlangen und ähnliches herstellen.
Abb. 4 veranschaulicht eine „Mipolam“-Rohrleitung, durch welche Lösemittel in einen Kneter geleitet werden. Man erkennt außer dem 90°-Krümmer, dass die Rohre durch geklebte Muffen verbunden wurden. Der Anschluss an den zur Absperrung dienenden Kükenhahn am unteren Ende der Rohrleitung sei noch besonders erwähnt. Der Kükenhahn ist durch Metallflansch an die „Mipolam“-Leitung angeschlossen. Zu diesem Zweck wurde das Ende der „Mipolam“-Rohrleitung auf einen mit Rillen versehenen Metallstutzen aufgeschoben und durch Kleben und nachträgliches Aufschrumpfen mit diesem Stutzen fest verbunden. Auf der anderen Seite trägt der Metallstutzen einen normalen Metallflansch, an den sich der Metall-Kükenhahn ohne weiteres anschließen ließ.
Auch die im Rohrleitungsbau besonders in industriellen Betrieben übliche Verbindung durch Flanschen ist bei „Mipolam“-Rohren möglich. Wo die Verwendung loser, eiserner Flansche zweckmäßig erscheint, können die „Mipolam“-Rohre am Ende umgebördelt werden. Vermöge ihrer Wärmebildsamkeit lassen sich etwa 2 cm breite Borde ohne Schwierigkeiten biegen. Lediglich die Rundung der losen Flanschen muss stärker als bei eisernen Rohren gewählt werden. Falls aus technischen Gründen wünschenswert erscheint, werden besondere Bordringe aus demselben Material, aus welchem die Kunststoffrohre bestehen, an den Rohrenden aufgeklebt; schließlich können auch die Rohre mit Gewinde versehen und die eisernen Flanschen aufgeschraubt werden. Wo es wegen der chemischen Angriffe von außen erforderlich ist, können noch die Flansche selbst aus„Mipolam“ angefertigt werden.
Die in Abb. 5 gezeigten Säureleitungen sind aus „Mipolam“. Als Rohrverbindungen sind geklebte Muffen gewählt worden, während die über Krümmer abzweigenden Zuleitungen durch Flanschenanschlüsse lösbar aufgeführt sind. Die von der Hauptleitung abzweigenden Stutzen sind in diese eingeklebt. Die Herstellung solcher T- oder auch Kreuzstücke ist durch die Klebemöglichkeit des Stoffes verhältnismäßig einfach. Im Hintergrund von Abb. 1 stehen auf der Werkbank zwei in der Werkstätte für die Montage mit Klebemitteln vorgearbeitet T-Stücke. Für die Bedürfnisse chemischer Fabriken u.ä. mit eigenen Facharbeitern wird diese Ausführungsform, die sich in allen Fällen und bei den verschiedensten Prüfungen bewährt hat, wohl stets angewendet werden. Für die Bedürfnisse des an fertige Fittings gewöhnten Installationsgewerbes wurde eine durch Revolver-Dreharbeit herzustellende Ausführung entwickelt (Abb. 6: Auf der Drehbank aus dem Vollen gearbeitetes Mittelstück einer Kreuzverbindung aus Mipolam).
Wenn so gesagt werden kann, dass sich diese neuen Kunststoffrohre praktisch nach den Methoden und Arbeitsverfahren, die bisher im Rohrleitungsbau üblich waren, verlegen lassen, kann es nicht wundernehmen, dass sie als Ersatz für Einfuhrstoffe in den verschiedenen Industrien gebraucht werden. Darüber hinaus aber weisen sie in vielen Fällen Vorteile auf, die ihnen den Charakter eines bloßen Ersatzes nehmen, und sie als vollwertigen, neuen Baustoff erscheinen lassen. Wo sie an Stelle von Glas oder Steinzeug verlegt werden, spricht ihre bedeutend leichtere Verarbeitbarkeit, ihre große Bruchfestigkeit und das geringe Gewicht für sie. Als Berieselungsleitungen werden sie Eisenrohren vorgezogen, weil sie dem nur zeitweisen Gebrauch solcher Leitungen nicht rosten, wodurch sich bei Eisenleitungen die feinen Bohrungen verhältnismäßig schnell zusetzen. Bei aggressiven Wässern finden keine Ablagerungen statt; werden „Mipolam“-Rohre als Bierleitungen verwendet, so bildet sich kein Bierschleim usw.
Außer in der Form von Rohren kommen Stäbe und Profile aus demselben Kunststoff auf den Markt, die eine weitergehende konstruktive Anwendung dieses vielseitigen Werkstoffes erleichtern.
Literatur: (1) O. Nicodemus, Angew. Chem. Bd. 49 (1936), Nr. 44, S. 787
(2) G. Kränzlein, Angew. Chem., Bd. 49 (1936), Nr. 52, S. 917
Anmerkungen des Bearbeiters: Der Autor wirbt in dieser Schrift für diesen neuen Werkstoff zur Verwendung im industriellen Rohrleitungsbau. Er zeigt sehr genau die speziellen Verarbeitungstechniken auf, wobei er häufig auf die Ähnlichkeit mit der von wohl etablierten Metallrohren hinweist (um die Scheu vor der Verwendung der neuartigen „Mipolam“-Rohre zu nehmen.), und er wiederholt sehr oft im Text das Wort „Mipolam“-Rohr, damit dieser Markenname beim Leser haften bleibt. Die parallele Entwicklung der handwerklichen Verarbeitungstechnik (parallel zur eigentlichen Material- und Herstellverfahrens- Entwicklung) ist ein absolutes Muss bei der Einführung eines solchen neuartigen Materials, und sie muss auf der Baustelle einfach anwendbar sein, was in diesem Artikel belegt wird.
Als strategische Triebkraft für die Einführung dieses neuen Rohrmaterials wird der Ersatz Devisen-belasteter Metallrohre („Einfuhrstoffe“) angegeben. Hiermit soll der vorherrschenden Staatsdoktrin jener Zeit: „Autarkie und Devisenschonung“ Rechnung getragen werden. Des Weiteren wird ein Verarbeitungsvorteil für bereits im Markt vorhandene andere Kunststoffrohre angegeben; nach Ansicht des Bearbeiters sind damit Vulkan-Fiber-Rohre gemeint, die nicht thermoplastisch verarbeitet werden können. Es ist das Bestreben erkennbar, zwar Ersatz mit diesem neuen Material zu liefern, dabei aber gleichzeitig bisher nicht mögliche Anwendungs- und Verarbeitungsvorteile zu bieten. Interessant ist die Beispielsammlung, bei der die Bevorzugung der Industrie als Verwender auffällt. Mit Sicherheit spiegelt dies das gesellschaftliche Verständnis der Dominanz von Industrie gegenüber privatem Verbrauch jener Zeit wieder, zum anderen ist der Autor als Entwickler und Anwendungstechniker als Mitarbeiter einer chemischen Fabrik (Dynamit AG in Troisdorf) von Natur aus gewöhnt, in industriellen Denkbahnen zu denken. Ihnen begegnet er bei seiner täglichen Arbeit, und er hat eine leichte Gelegenheit, die neuen Rohrmaterialien in der eigenen Fabrik erfolgreich auszutesten. Allerdings zeigt sein Beispiel einer Bierleitung doch eine gewisse Endverbraucher-Nähe.
Mit diesem neuen Werkstoff „Mipolam“ aus PVC hat die Troisdorfer Kunststoffabrik Dynamit Aktiengesellschaft als Erfinder der großen Produktgruppe der Kunststoff-Rohre Industrie-Geschichte geschrieben!
Später galten die „grünen Rohre aus Troisdorf“ (hellgrüne eingefärbte Rohrqualitäten) als hochwertige Qualitätsware.
PS: Die Qualität der Abbildungen in der kopierten Vorlage gestattet leider keine vernünftige Wiedergabe; auf sie wird deswegen verzichtet, zumal sich die dargestellten Objekte aus dem Text leicht erschließen.
Der Markenname „Mipolam“ lässt sich auf seine chemische Natur eines PVC-Mischpolymerisats mit Acrylester zurückführen.
(Bearbeitet: Dr. Volker Hofmann, Troisdorf, 10. April 2009)