Vulkanfiber

Dr. Kurt Nising, Dynamit-Aktien-Gesellschaft, Troisdorf, berichtete in „Kunststoffe“, 1937, Band 27, Heft 3, S. 68-70:

Der Werkstoff „Vulkanfiber“ ist ein reines Zelluloseprodukt. Er wurde zu Beginn der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in Amerika entwickelt, wo er dann auch bis zum Weltkrieg fast ausschließlich hergestellt wurde. Dann schritt man in ganz Europa zu seiner Herstellung und in Deutschland entwickelte alsbald eine bedeutende Vulkanfiberindustrie. Der Name des Werkstoffs leitet sich ab von seiner amerikanischen Bezeichnung „Vulcanized Fibre“ und bedeutet, dass man Papierlagen, die mit einem Pergamentierungsmittel zur Quellung (hydratisiert) wurden, unter bestimmten Bedingungen miteinander vereinigt. Das Endprodukt ist also sog. „Hydratzellulose“.

Das als Rohstoff verwendete Papier ist ein aus Baumwollhadern bestehendes ungeleimtes, saugfähiges, löschpapierähnliches Material, dem unter Umständen Zellstoff zugesetzt wird. Die Farbe kann beliebig sein. Durch Tränkung mit Chlorzinklauge werden die einzelnen Papierfasern stark zur Quellung gebracht. Die getränkte Papierbahn wird nun auf große Walzen aufgewickelt und hier mit Hilfe von Druck und Hitze derart miteinander vereinigt, dass beim Endprodukt ein Auseinanderlösen der einzelnen Lagen unmöglich ist. Durch die Anzahl der Lagen kann die Materialstärke bis aufwärts zu 50 mm variiert werden.

Der aufgewickelte Zylinder wird, wenn die gewünschte Stärke erreicht ist, zu Platten aufgeteilt und diese werden nun durch den Wässerungsprozess von Chlorzink befreit. Dieser Auslaugungsprozess muss sehr sorgfältig vorgenommen werden, damit die Verschweißung der einzelnen Lagen nicht leidet und damit restlos sämtliches Chlorzink entfernt wird, weil dieses nach einiger Zeit die Fiber zerstört und außerdem die Isolationsfähigkeit herabsetzt.

Das fertig gewässerte Material hat nun einen hohen Wassergehalt, wodurch es eine gummiartige Weichheit erhält. Trocknet man es, so verliert sich sofort seine Weichheit und es bekommt die harte und zähe Beschaffenheit, mit welches es in den Handel kommt. Da die Platten nach dem Trocknen sich sehr stark verkrümmen, werden sie unter großen hydraulischen Pressen gerichtet. Wird bei manchen Platten, wie z.B. bei denen für die Kofferindustrie, eine besonders glatte Oberfläche gewünscht, so werden sie kalandriert. Es ist zweckmäßig, die inneren Spannungen, die während dieser vorhergehenden Prozesse das Material erhielt, sich durch längere Ablagerung ausgleichen zu lassen.

Vulkanfiber kommt in den Handel in Rollen von 0,1 bis 0,5 mm Stärke und in Platten von 0,5 bis 50 mm Stärke. Für technische Zwecke benutzt man die Farben Rot, Schwarz, und Naturfarben (Grau), während für Kofferzwecke in erster Linie Braun verwandt wird. Hauptsächlich unterscheidet man zwei Qualitäten: Vulkanfiber  für Kofferzwecke und solche für technische Zwecke. Bei der letzteren unterscheidet man leichtere, weiche Qualitäten und härtere schwere und außerdem noch besonders homogene hornartige Fiber. Infolgedessen sind die Festigkeitseigenschaften sehr verschieden. Die hauptsächlichen Eigenschaften sind in der folgenden Tabelle aufgeführt:

Spez. Gewicht            1,1 – 1,4
Zerreißfestigkeit,        längs: 800 – 1200 kg/qcm / quer: 500 – 800 kg/qcm
Biegfestigkeit (Mittel        800 – 1300 kg/qcm
Schlagbiegefestigkeit        120 – 180 cmkg/qcm
Wärmebst. nach Martens    70 – 90 °C

An elektrischen Werten werden für den inneren Widerstand mindestens 1000 Megohm für Platten unter 4 mm und 500 Megohm für Platten über 4 mm Stärke verlangt.
Die Mindestwerte für Durchschlagfestigkeit sind:
mindestens 3000 Volt, je 1 mm bei bis 5 mm starken Platten
2000 Volt, bei 5 – 10 mm
1000 Volt, bei über 10 mm

Hieraus gehen aber noch längst nicht die wirklichen Eigenschaften der Vulkanfiber hervor. So zum Beispiel nicht die Zähigkeit, Elastizität und die absolute Sicherheit, Ermüdungserscheinungen und keine Splitterneigung aufzuweisen.

Der gewaltige Vorzug der Vulkanfiber gegenüber anderen Werkstoffen liegt in der Vielzahl der Verarbeitungsmöglichkeiten. Sie kann gesägt, geschnitten, gehobelt, gedreht, gefräst, gebohrt, gelocht, im Scharfschnitt oder Führungsschnitt gestanzt, genietet, verleimt, gebogen, poliert und mit Gewinde versehen werden. Vulkanfiber lässt sich ziehen, drücken, prägen und stauchen. Alle denkbaren Verformungen können angewandt werden.

Hergestellt werden aus Vulkanfiber: Platten, Scheiben und Ringe für Unterlagszwecke, für Dichtungen, für Brems- und Friktionszwecke; Kupplungsbolzen und -beläge, Lager, Lagerschalen, Lagerringe, Lagerfutter, Laufrollen, Rädchen, Griffe, Federunterlagen, Zapfen, Zahnräder.

Vulkanfiber kann durch nachträglichen Zusatz von Chemikalien außerordentlich geschmeidig gemacht werden. Diese Chemikalien können Salze sein. Soll jedoch solche geschmeidige (flexible) mit Metallen in Berührung kommen, so empfiehlt es sich, nichtdissoziierende organische Substanzen zum Flexibelmachen zu verwenden.

Die Automobilindustrie ist in großem Umfang auf die Verwendung von Vulkanfiber übergegangen. Wegen der hohen Festigkeit, des niedrigen Raumgewichts und der Öl- und Treibstoffbeständigkeit wird die Fiber für Kupplungsbremsen, Feder- und Achsenunterlagen, Unterbrechernocken, Kabelrohre, griffe, Tachometerritzel, Bremsbänder und Dichtungen für Brennstoffleitungen verwendet.

Die Textilindustrie hat sich die Fiber in besonderem Maße zunutze gemacht, da das niedrige Raumgewicht, die lange Haltbarkeit, infolgedessen geringe Abnutzung, die große Stärke und Splittersicherheit für Maschinenteile dieser Branche geradezu ideal ist. Hier kommen zur Verwendung: Transportkästen und Wagen, Spinnkannen, Picker und Pickerschoner, Webschiffchen und Webschützen mit Vulkanfiber furniert, Zahnrädchen, Schnurrollen, Faden- und Garnrollen, Spulen und Spulenscheiben, Spindeln, Hülsen, Brems- und Spinnringe, Schlichtkämme.

Als Dichtungsmaterial  wird Vulkanfiber verwendet als Manschetten für Presszylinder, Klappen und Ringe für Pumpen, konische Ringe für hydraulische Pressen, Spezialdichtungen für Druckflaschen für Gase.

Als besondere Verwendungsgebiete sind zu nennen: Laufschienen und Laufrollen, Gleitschuhe, Rollen für lautlose Rollschuhe, Möbelrollen, Staubsaugerdüsen, bügel- und mangelfeste Knöpfe in rein weißer Ausführung, Möbeluntersetzer, Handräder, Rohrpostbüchsen, Mützenschirme, Messergriffschalen aller Art.

Die Kofferindustrie verwendet leichtes Material in großem Umfang. Dieses material ist meist braun in allen Schattierungen, daneben auch lederfarben, schwarz und durchscheinend. Um Ledereffekte zu erhalten, werden diese Kofferplatten mit den verschiednen Narben versehen und in verschiedenen Tönungen lackiert. Um weniger wertvolle und weniger haltbare Pappkoffer einigermaßen zu schützen, werden Vulkanfiberkofferecken verwendet.

Die Starkstrom-Elektrotechnik verwendet mit Rücksicht auf den Feuchtigkeitsgehalt und auf die Feuchtigkeitsempfindlichkeit die Vulkanfiber als Zelluloseprodukt bis zu einem gewissen Grad aufweist, die Fiber nur da, wo hohe mechanische Beanspruchung gefordert wird, der andere Isolierstoffe nicht gewachsen sind. Vorzugsweise verwendet man sie da, wo keine direkte Isolation spannungsführender Teile erforderlich ist, z.B. als Abdeckplatten, Traversen, Nutenkeile, Zugentlastungsschellen usw. Die Schwachstromtechnik dagegen hat ein sehr weites Anwendungsgebiet, wie z.B. Telefongriffe, Stöpsel, Hülsen, Tischbelag für Klappenschränke usw.
Wenn nun schon die Vulkanfiber als Isolationsmaterial in der Elektroindustrie Verwendung findet, so ist es unbedingt erforderlich, dass ihre Isolationseigenschaften nicht durch Zusätze von Metallen und Salzen herabgesetzt wird. Das heißt also, es muss in erster Linie ein sehr sauberes Rohmaterial Verwendung finden und dann muss der Auslaugungsprozess äußerst sorgfältig vorgenommen werden. Leider geschieht es immer wieder, dass Vulkanfiber in den Handel kommt, die von irgendwelchen bald wieder verschwundenen Herstellern mit primitiven Methoden hergestellt wurde und bei welcher natürlich infolge unzureichender Erfahrung und Anlagen die Qualität nicht im geringsten den vorher erwähnten Anforderungen entspricht.

Infolge ihrer guten mechanischen Festigkeit und leichten Bearbeitbarkeit spielt die Fiber eine große Rolle als Messingersatz. Eine große Anzahl von Maschinenteilen, wie Schrauben aller Art, Stifte usw. wird heute schon aus Vulkanfiber hergestellt, und es ist wahrscheinlich, dass diese Art der Verwendung ganz großen Umfang annimmt.

Wie schon erwähnt wurde, hat die Vulkanfiber einen spezifischen Feuchtigkeitsgehalt, der in gewisser Hinsicht der Grund zu ihrer Elastizität ist. Durch diesen Feuchtigkeitsgehalt wird nun die Vulkanfiber ein wenig abhängig von dem Feuchtigkeitsgehalt der sie umgebenden Atmosphäre. Diese, bei gut abgelagertem Material meist nur sehr geringen Schwankungen, können die Isolationseigenschaften herabsetzen und in besonders ungünstigen Fällen zu Verkrümmungen und Quellungserscheinungen führen. In manchen Industriezweigen ist es daher üblich, die Vulkanfiber mit feuchtigkeitsisolierenden Lackschichten zu überziehen. Die Lacke können Nitrozelluloselacke, Öllacke u. dgl. sein. So werden z.B. die Platten, die in der Kofferindustrie Verwendung finden, mit diesen Lacken überzogen. Bei dieser Art der Verwendung ist diese Methode durchaus ausreichend. Wird jedoch ein mit einem Überzug versehenes Stück einer starken mechanischen Beanspruchung ausgesetzt, so ist es leicht möglich, dass die Schutzschicht abblättert und damit die Widerstandsfähigkeit gegen Feuchtigkeit verloren geht. In der letzten zeit ist es nun gelungen, einen Überzug aus Kunstharzen zu entwickeln, der sowohl eine absolut Wasser abstoßende Oberfläche auf dem Vulkanfiberstück bildet, als auch außerordentlich fest darauf haftet. Man hat es ermöglicht, die Vulkanfiber in einer dünnen Schicht unter der Oberfläche mit diesem Kunstharz zu imprägnieren und damit eine gute Verankerungsschicht für den Überzug zu bilden. Hier ist ein Abblättern nicht mehr zu befürchten. Es ist natürlich nicht mehr möglich, nach dem Überziehen des Fiberstücks noch irgendetwas an seiner Form zu verändern, da dann der an sich spröde Überzug zerstört würde. Ist es nun unbedingt erforderlich, ein Material zu besitzen, welches nicht nur durch eine dünne Schicht wasserabweisend gemacht wurde, so gibt es auch da ein neuerdings Verfahren, welche Vulkanfiber von sämtlichen Stärken mit wasserfesten Mitteln völlig durchimprägnieren. Allerdings geht mit einer restlosen Durchimprägnierung und damit einer praktisch völligen Wasserfestigkeit der spezifische Feuchtigkeitsgehalt verloren und damit auch bis zu einem gewissen Grade die elastischen Eigenschaften. Alle Bearbeitungsmethoden, die durch diese Eigenschaften ermöglicht werden, wie Tiefziehen, Prägen, Drücken oder starkes Biegen werden dadurch natürlich nicht mehr möglich. Um aber hier Übergänge zu schaffen, d.h. Materialien zu erhalten, die nur beschränkt wasserfest sind und damit einen bestimmten Elastizitätsgrad behalten, variiert man den Imprägnierungsgrad und es entstehen Stoffe, die in mancher Beziehung noch reine Vullkanfibereigenschaften haben und doch eine größerer Wasserfestigkeit besitzen. Man hat heute diese Methoden der absoluten und partiellen Durchimprägnierung vollständig in der Hand und gerade dieser Vulkanfiberart stehen große Verwendungsgebiete offen.

(Bearbeitet: Dr. Volker Hofmann, Troisdorf, 7. August 2008)