Resorbierbares chirurgisches Nahtmaterial
Ein
Projekt des Bereiches Kunststoffentwicklung (BKE) der ehemaligen
Dynamit Nobel, dass nicht in die Palette ihrer technischen Kunststoffe
passte, und heute weitgehend vergessen sein dürfte, war die Entwicklung
von resorbierbarem monofilem chirurgischem Nahtmaterial.
Darunter
versteht man Fäden, die bei Verletzung oder Operationen getrennte
Wundflächen durch eine Naht verbindet. Die Verbindung soll nur
vorübergehend sein, bis durch die Wundheilung eine natürliche Narbe
entstanden ist.
In der Chirurgie unterscheidet man grundsätzlich zwischen zwei Arten von chirurgischen Fäden: resorbierbare und nicht resorbierbare.
Während letztere nach Abschluss des Heilungsprozesses wieder entfernt
„gezogen“ werden, müssen an inneren Organen bzw. unter der Hautdecke
Fäden verwendet werden, die vom Körper resorbiert werden können.
Ein Ausgangspunkt zur Entwicklung von resorbierbarem monofilem Nahtmaterial war ein Monofil, das bei der DN unter dem Namen „Trofil“ unter anderem als nicht resorbierbares Nahtmaterial vertrieben wurde. Ein resorbierbarer Faden hätte somit eine Erweiterung der Aktivitäten in diesem Marktsegment bedeutet.
Stand der Technik
Zum Zeitpunkt des Projektstartes im Jahre 1982
wurden auf dem Markt sowohl Multifile als geflochtene Fäden, als auch
Monofile als resorbierbarer chirurgisches Nahtmaterial angeboten.
Die
Multifile bestanden aus Polyglykolsäure bzw. aus
Glykolsäure-Milchsäurecopolymerisaten, während Monofile unter dem Namen
„Catgut“ natürliche Eiweißprodukte waren. Letztere wiesen in der
Handhabung etliche Nachteile auf. Das Handicap der multifilen Fäden
bestand darin, dass sie im Gewebe eine Sägewirkung ausüben konnten.
Weiterhin konnten an ihnen Keime entlang in der Körper wandern, als
Dochtwirkung bekannt, was zu Infektionen führen konnte.
Es bestand
daher die Aufgabe, ein resorbierbares chirurgisches Nahtmaterial zu
entwickeln, das als Monofil die gleiche Flexibilität wie Catgut
aufweisen , gleichzeitig aber die Nachteile der Multifilen vermeiden
sollte.
Das Anwendungsprofil wurde im wesentlichen von den auf dem Markt befindlichen Produkte, darüber hinaus auch von Normen wie dem Europäischen Arzneibuch und der US Pharmakopea bestimmt.
Experimenteller Teil
Der Rohstoff L(-)Lactid wurde von einem Lieferanten bezogen. Der Katalysator Zn(II)-stearat wurde aus Natriumstearat und Zinn(II)-chlorid im Labor hergestellt.
Lactid
Die Poly-L-Milchsäure erhielt man durch Polymerisation des Lactids mit dem Katalysator in einem beheizten Reaktionsgefäß unter Schutzgasatmosphäre.
Nach Beendigung der Reaktion wurde die geschmolzene Masse über eine Spinnpumpe ausgetragen und als Rohfaden aufgespult.
Anschließend erfolgte die Verstreckung des Fadens auf einer Heißluftverstreckungsanlage.
Nachdem erste Versuche mit verstreckten Monofilen
aus reiner Polymilchsäure gezeigt hatten, dass diese für den
vorgesehenen Einsatzzweck zu steif waren, bestand die Hauptaufgabe der
Entwicklung darin, die Flexibilität des Fadens unter Beibehaltung
seiner Reißfestigkeit zu erhöhen. Die Wahl fiel auf den Zusatz von
externen Weichmachern, die als physiologisch unbedenklich bekannt waren.
In
mehreren Versuchsansätzen wurden sowohl Weichmachertyp, wie auch
Kombinationen von Weichmachern hinsichtlich ihres Einflusses auf die
geforderten mechanischen Eigenschaften der Monofile, wie auf deren
Abbau ausgetestet. Als am besten geeignet erwiesen sich Kombinationen
der Weichmacher Azetyltributylzitrat und Glyzerintriazetat.
Der
Zusatz von Weichmachern zu der Polymerschmelze hatte aber auch negative
Auswirkungen auf das Molekulargewicht der Poly-L-Milchsäure. Es
erfolgten Umesterungsreaktionen und das Molekulargewicht nahm deutlich
ab. Um diesen Einfluss zu verringern, der nur in der Schmelze wirksam
war, wurde versucht, die Spinnzeit zur Herstellung des Rohfadens so kurz
wie möglich zu halten. Trotzdem nahm die Rohfadenherstellung noch 8
Stunden in Anspruch.
Die hergestellten Fäden wurden zahlreichen
Prüfungen unterzogen. So wurden vor allem ihre mechanischen
Eigenschaften wie (Knoten-)reißkraft, -reißdehnung und –reißfestigkeit
bestimmt.
Der physiologische Abbau wurde vorwiegend in-vitro
geprüft, d.h. die Monofile wurden in einer physiologischen Pufferlösung
bei 37° C gelagert. Dann wurden nach bestimmten Zeiten Proben entnommen
und der Festigkeitsabfall der Fäden bestimmt, sowie festgestellt wie
weit sich der Faden aufgelöst hatte. Die Prüfungen erstreckten sich
dabei über einen Zeitraum bis zu 60 Tagen.
Gleichzeitig wurden Fäden eines Ansatzes auch in Ratten implantiert und damit der Abbau in-vivo untersucht.
Ein weiterer Aspekt der Anforderungen an chirurgisches Nahtmaterial stellte auch die Sterilisierbarkeit dar. Es zeigte sich, dass eine Beta-Bestrahlung die geeignete Methode für dieses Material war.
Ergebnisse
Das Ziel, Fäden mit Knotenreißkräften besser als Catgut zu erreichen, konnte gelöst werden.
Dagegen blieb die Flexibilität hinter den Anforderungen zurück. Die Fäden waren steifer als die Marktprodukte.
Der
Festigkeitsverlust nach Abbau war denen der Marktprodukte vergleichbar.
Lediglich die Resorption im Gewebe verlief deutlich langsamer.
Das Projekt wurde in der 2.Jahreshälfte 1984 eingestellt, nachdem einer der Marktführer im Laufe des Jahres einen resorbierbaren monofilen Faden vorgestellt hatte. Damit entfielen auch weiteren Optimierungsversuche.
Die Abbildung zeigt die Technikumsanlage zur Herstellung der Rohfäden im Jahre 1984
Dr. Rainer Pflüger
Im November 2009